Die Phänotypisierung ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, zusätzliche Informationen aus einer DNA-Spur zu gewinnen und so ihre Ermittlungen wirkungsvoller und schneller auf die Personengruppe auszurichten, der die Spurenlegerin oder der Spurenleger angehören könnte. Führt ein Abgleich der DNA-Spur mit den Personenprofilen in der DNA-Profil-Datenbank zu keinem Ergebnis, können neu aus der Spur die folgenden äusserlich sichtbaren Merkmale eruiert werden: Augen-, Haar- und Hautfarbe, biogeografische Herkunft und Alter. Die Phänotypisierung steht für Ermittlungen schwerer Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung zur Verfügung; die einzelnen Straftatbestände sind in einem Deliktskatalog aufgelistet. Damit steht den Ermittlerinnen und Ermittlern ein neues, zusätzliches Ermittlungs- und Fahndungsinstrument zur Verfügung, das beitragen soll, schwere Straftaten aufzuklären. Damit wird auch die Sicherheit der Bevölkerung erhöht.
Die eidgenössischen Räte haben die Änderung des DNA-Profil-Gesetzes in der Schlussabstimmung vom 17. Dezember 2021 genehmigt. Das revidierte DNA-Profil-Gesetz ist am 1. August 2023 in Kraft getreten.
In den vergangenen Jahren machte die Wissenschaft enorme Fortschritte. Heute lassen sich aus einer DNA-Spur mittels der sogenannten Phänotypisierung weitere äusserliche Merkmale herauslesen:
Augenfarbe
Die Farben Blau und Dunkelbraun können mit einer 90- bis 95-prozentigen Sicherheit bestimmt werden. Die Zwischenfarben (z.B. Grün oder Graumeliert) lassen sich schwieriger bestimmen.
Haarfarbe
Die Haarfarben Rot, Blond, Braun oder Schwarz lassen sich mit einer hohen Zuverlässigkeit bestimmen: Blond rund 69%, Braun 78%, Rot 80%, Schwarz 87%. Bei Blond ist zu berücksichtigen, dass bei einem Teil der blondhaarigen Bevölkerung während der Adoleszenz eine Veränderung der Haarfarbe zu Dunkel-blond/Braun auftritt.
Hautfarbe
Weisse und sehr dunkel pigmentierte Haut kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden. Mit den heute zur Verfügung stehenden Tests können inzwischen auch Klassifikationen der unterschiedlichen dazwischenliegenden Hautfarben vorgenommen werden. Die Vorhersagewahrscheinlichkeit liegt heute aktuell für die weisse Hautfarbe bei 98%, für die schwarze Hautfarbe bei 95% und für Mischformen bei 84%.
Biogeografische Herkunft
Anhand spezifischer Merkmale der DNA lässt sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sagen, ob eine Person aus einer der Weltregionen Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Südwestasien oder der indigenen Bevölkerung in Ozeanien oder Amerika stammt.
Alter
Mit einer DNA-Analyse lässt sich das Alter eines Spurenlegers oder einer Spurenlegerin bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen, sofern dieser in etwa der Altersgruppe der 20- bis 60-jährigen angehört. Bei jüngeren und auch bei älteren Menschen lässt sich das Alter weniger genau bestimmen, und es kann zu grösseren Abweichungen kommen.
Die fünf Merkmale zeigen ihren Nutzen auch in Kombination. Zum Beispiel, wenn die Phänotypisierung ergibt, dass die Person über 70 Jahre alt ist, müsste dies darauf hindeuten, dass sie weisse Haare hat.
Mit der Revision des DNA-Profil-Gesetzes vom 17. Dezember 2021 ist der Suchlauf nach Verwandtschaftsbezug im Gesetz neu ausdrücklich verankert. Er unterliegt demselben Deliktskatalog, wie er für die Phänotypisierung gilt und wird durch die Staatsanwaltschaft angeordnet.
Im Auftrag der Rechtskommission des Nationalrates hatte der Bundesrat die Regelung zur Löschung der DNA-Profile in der Datenbank evaluiert. Er kam dabei zum Schluss, dass die Löschregelung von DNA-Profilen kompliziert und mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden ist. So war zum Beispiel die Löschfrist abhängig vom Verlauf des Strafvollzugs. Änderte sich die Länge einer Haftstrafe oder wurde ein Täter rückfällig, so musste die Löschfrist seines DNA-Profils in der DNA-Datenbank nachträglich angepasst werden. Mit der Revision des DNA-Profilgesetzes vom 17. Dezember 2021 wurde eine neue, vereinfachte Löschregelung geschaffen: Die Aufbewahrungsdauer der DNA-Profile in der DNA-Datenbank wird einmalig im Urteil festgelegt und ändert sich später nicht mehr.
Auch die Neuregelung ist dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismässigkeit ausgerichtet: Sie ist weiterhin in hohem Mass ausdifferenziert, basiert also auf einer sorgfältigen Abwägung der Interessen der Strafverfolgung gegenüber jenen der betroffenen Person. Die DNA-Profile werden nur soweit und solange aufbewahrt, wie dies für die Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist.
Ermittlungen fokussieren
Der praktische Nutzen der Phänotypisierung lässt sich am Fall der Vergewaltigung und Ermordung der 16-jährigen Marianne Vaatstra im Jahre 1999 in den Niederlanden aufzeigen: Der erste Tatverdacht fällt auf die Bewohner eines nahegelegenen Asylheims. Eine DNA-Massenuntersuchung im Gebiet um den Tatort verläuft ergebnislos. In dieser Situation entschliessen sich die Strafverfolgungsbehörden zum ersten Mal überhaupt, eine Phänotypisierung der am Tatort sichergestellten Blut- und Spermaspuren vorzunehmen. Es stellt sich heraus: Beim Täter muss es sich um einen Westeuropäer handeln. Damit lassen sich die folgenden Ermittlungen eingrenzen. Der Täter kann schliesslich ermittelt werden.
Auf mögliches Motiv hinweisen
Es geht um einen Fall von versuchter Brandstiftung: Eine Person, die eine Moschee in Brand stecken will, lässt am Tatort einen Handschuh zurück. Auf der Innenseite des Handschuhs wird DNA sichergestellt. In der DNA-Datenbank wird jedoch keine Übereinstimmung gefunden. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit ein europäischer Mann mit blonden Haaren und blauen Augen ist. Diese Informationen geben der Polizei einen wichtigen Hinweis darauf, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handeln könnte.
Kreis der Verdächtigen einschränken
Auf dem Land, in einem kleinen holländischen Dorf, geschieht ein sexueller Übergriff. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit von asiatischer Herkunft ist. Dieses Resultat schränkt den Pool möglicher Verdächtiger dramatisch ein: In diesem Dorf lebt nämlich nur eine Person – adoptiert von einem niederländischen Ehepaar – asiatischer Herkunft. Die DNA dieser Person stimmt mit der DNA der am Tatort sichergestellten Spermaspuren überein.
Opfer- und Zeugenaussagen einordnen
Übereinstimmende DNA-Profile von Spermaspuren beweisen, dass derselbe Täter zwei sexuelle Übergriffe begangen hat. Ein Opfer beschreibt den Täter als einen Westafrikaner, das andere ist überzeugt, dass es ein Inder ist. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit indischer Abstammung ist. Diese Informationen helfen der Polizei, sich gezielt auf die richtige Personengruppe zu konzentrieren.
Vergewaltigungsfall in Frankreich
Der Fall «Élodie Kulik» ist ein konkretes Beispiel eines Suchlaufs mit Verwandtschaftsbezug. Die 24-jährige Élodie Kulik wird 2002 in Nordfrankreich vergewaltigt und anschliessend ermordet. Die Tat geschieht nachts in einem abgelegenen ländlichen Gebiet. Jegliche Zeugenaussagen fehlen. Aus dem DNA-Profils der sichergestellten Spermaspur wird als erstes eine Massenuntersuchung im Gebiet um den Tatort durchgeführt. Dieser Abgleich, die Überprüfung von mehreren Tausend weiteren DNA-Profilen im französischen DNA-Profil-Informationssystem wie auch auf europäischer Ebene verlaufen ergebnislos. Deshalb entschliesst sich die Gendarmerie Nationale zum ersten Mal überhaupt, einen Suchlauf mit Verwandtschaftsbezug einzusetzen. Auf diese Weise stossen die Strafverfolgungsbehörden auf einen Mann, dessen Familie in der Nähe des Tatorts lebt. Gestützt auf herkömmliche Ermittlungsmethoden, u.a. Auskünfte aus öffentlichen Registern, wird ein Stammbaum dieses Mannes erstellt. Es stellt sich heraus, dass dieser Mann zwei Söhne hatte. Einer der Söhne konnte wegen seines jungen Alters zum Tatzeitpunkt als Täter ausgeschlossen werden. Der ältere Sohn war kurz nach dem Zeitpunkt der Tat verstorben; das erklärt, weshalb die Massenuntersuchung ergebnislos verlaufen war. Der Leichnam wird exhumiert – das DNA-Profil stimmt mit dem Spurenprofil überein. So ist der Täter neun Jahre nach der Tat identifiziert.
Begriffsklärungen zur DNA-Analyse: Was ist eigentlich…
Exemplarische Fallbeispiele aus der Praxis
Begriffsklärungen zur Phänotypisierung: Was ist eigentlich…
Exemplarisches Fallbeispiel aus der Praxis
Begriffsklärungen zum Suchlauf: Was ist eigentlich…
Rechtliche Grundlagen
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DNA-Profil-Gesetz
(SR 363)
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DNA-Profil-Verordnung
(SR 363.1)
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Dokumentation zum Gesetz
Bundesgesetz über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen. Am 1. Januar 2005 in Kraft getreten.
Medienmitteilungen
Letzte Änderung 02.08.2023