Was ist das Ziel der Reform?
Mit der Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts (EU-Pakt) im Mai 2024 konnte die EU nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung über eine umfassende Reform des europäischen Migrations- und Asylsystems erreichen. Die wichtigsten Ziele der Reform liegen auch im Interesse der Schweiz: Einerseits sollen weniger Personen in Europa einreisen, die die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllen und keinen Schutz benötigen. Gleichzeitig sollen Fehlanreize beseitigt werden, damit Asylsuchende nicht unberechtigt innerhalb von Europa weiterwandern. Anderseits wird erstmals eine rechtlich verbindliche Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten eingeführt. Mit der Reform soll das europäische Asyl- und Migrationssystem insgesamt gestärkt und den aktuellen Herausforderungen gerecht werden. Die zwei grundlegend neuen Elemente der Reform, die Verfahren an den Aussengrenzen des Schengen-Raums und der Solidaritätsmechanismus sind allerdings für die Schweiz nicht bindend. Dennoch enthält die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) auch Weiterentwicklungen des Schengen-/Dublin-Besitzstands, die die Schweiz gemäss den Assoziierungsabkommen übernehmen muss und hauptsächlich zu technisch-operationellen Anpassungen von Regelungen und internen Verfahren führen wird.
Was beinhaltet die Reform genau?
Alle Personen, die irregulär in den Schengen-Raum eingereist sind, sollen neu einem Überprüfungsverfahren (Screening) unterzogen werden. Dies soll sicherstellen, dass die Identifizierung, die Sicherheits- und Gesundheitsprüfung von den nationalen Behörden in allen Ländern einheitlich durchgeführt werden. In den EU-Mitgliedstaaten soll diese Überprüfung ausserdem ermöglichen, die Personen in das richtige Verfahren einzuteilen.
Drittstaatsangehörige, die irregulär in den Schengen-Raum einreisen, sich ohne Aufenthaltsberechtigung bereits in Europa aufhalten, Asylsuchende und neu auch Personen die einen temporären Schutz geniessen, werden mit ihren Daten in der Eurodac-Datenbank abgespeichert. Diese Datenbank wurde durch die Reform erweitert: Es werden mehr Daten erhoben und diese werden mit anderen europäischen Datenbanken systematisch abgeglichen.
Eine grössere Neuerung des EU-Pakts ist die Einführung sogenannter «Grenzverfahren» an der EU-Aussengrenze (Asyl- und Rückkehrgrenzverfahren): Das Asylgrenzverfahren ist in der EU vorgesehen für Personen mit einer Nationalität, deren Schutzquote im europäischen Durchschnitt 20% oder weniger beträgt, oder die als ein Sicherheitsrisiko eingestuft werden. Grundsätzlich ausgenommen sind unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Familien mit Kindern werden, wenn sie im Grenzverfahren sind, priorisiert, um die Asylverfahren möglichst rasch abzuschliessen. Dabei soll das Asylverfahren innert 12 Wochen abgeschlossen sein. Die Rückkehr von Personen, die keinen Schutz benötigen, soll ebenfalls innerhalb von weiteren 12 Wochen erfolgen. Personen, deren Asylgesuch im Grenzverfahren geprüft wird, sind juristisch nicht in den Schengen-Raum eingereist und dürfen ihre Aufnahmeeinrichtung während der Dauer ihres Verfahrens im Prinzip nicht in Richtung des Schengen-Raums verlassen.
Zur effizienteren Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten wurden ausserdem die Bestimmungen des Dublin-Systems weiterentwickelt, welches festlegt, welcher europäische Staat für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständig ist.
Der EU-Pakt führt erstmals einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus ein, mit dem sich die EU-Mitgliedstaaten gegenseitig unterstützen, um Staaten unter besonderem Migrationsdruck, wie die Länder an den EU-Aussengrenzen, zu entlasten. Die Beteiligung an diesem Solidaritätsmechanismus ist für die EU-Mitgliedsstaaten obligatorisch. Auf welche Art sie betroffene Staaten über diesen Mechanismus unterstützen, ist hingegen flexibel und besteht entweder aus der Übernahme von Personen (sog. Relocation), finanziellen Beiträgen oder aus alternativen Leistungen (z.B. Entsendung von Fachpersonal).
Für den Fall einer Krisensituation im Migrationsbereich werden neu auch klare Regeln definiert, wie auf eine solche Situation zu reagieren ist und wie die Staaten die Zusammenarbeit weiterhin fortsetzen können.
Im Weiteren werden im Rahmen des EU-Pakts einheitliche Regeln für die Kriterien zur Gewährung von internationalem Schutz und die Standards für die Aufnahme von Asylsuchenden festgelegt. Ausserdem werden gemeinsame Regeln für Resettlement (Übernahme von Personen mit internationalem Schutz) und humanitäre Aufnahmen festgehalten.
Die Umsetzung des EU-Pakts in allen EU-Mitgliedsstaaten erfolgt voraussichtlich ab Mitte 2026.
Inwiefern ist die Schweiz davon betroffen?
Die neuen Bestimmungen sind in zehn EU-Rechtstexten geregelt. Die Schweiz hat sich in den verschiedenen europäischen Gremien über ihre Mitwirkungsrechte im Rahmen ihrer Schengen- und Dublin-Assoziierung aktiv und konstruktiv in die Diskussionen für eine nachhaltige, menschenrechtskonforme und zielgerichtete Reform eingebracht. Direkt betroffen ist sie jedoch nur von denjenigen Teilen des EU-Pakts, die eine Weiterentwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands sind:
- Überprüfungsverordnung
Diese Verordnung sieht ein Überprüfungsverfahren (engl. Screening) an der Schengen-Aussengrenze und im Inland der Schengen-Staaten vor, in welchem irregulär in den Schengen-Raum eingereiste Personen registriert, identifiziert und auf Sicherheits- und Gesundheitsrisiken geprüft werden – unabhängig davon, ob sie ein Asylgesuch stellen.
- Eurodac-Verordnung
Mit der revidierten Eurodac-Verordnung wird der bestehende Katalog an Kategorien zur Registrierung von Personen bei ihrer Ankunft erweitert und es werden mehr Daten zu einer Person erfasst. Neu abzuspeichern sind Daten zu Personen mit irregulärem Aufenthalt. Neu in Eurodac erfasst werden ein Foto, Namen, das Alter und Fingerabdrücke einer Person ab 6 Jahren.
- Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung
Für die Schweiz rechtlich bindend sind die neuen Zuständigkeitskriterien (Dublin-Kriterien), um den Staat zu bestimmen, der für ein Asylgesuch zuständig ist. Dabei bleiben bereits heute geltende Kriterien wie die Familienkonstellation, das Ausstellen eines Visums oder Aufenthaltstitels oder die irreguläre Einreise in einen Staat bestehen. Angepasst werden insbesondere Fristen, um das Verfahren zu beschleunigen. Die Zuständigkeit für ein Asylgesuch bleibt ausserdem in der Regel länger bei einem Staat. Es werden aber auch neue Kriterien eingefügt, welche dem individuellen Bezug der Asylsuchenden zu einem bestimmten Dublin-Staat besser Rechnung tragen.
- Verordnung über Krise und höhere Gewalt (Krisenverordnung)
Für den Fall einer Krise im Migrationsbereich wird festgelegt, inwieweit die Mitgliedstaaten vom geltenden Recht abweichen dürfen. Für die Schweiz sind nur die Abweichungen im Bereich der Zuständigkeitsregeln (Dublin-Regeln) rechtlich relevant. Zum Beispiel können sich Staaten in einer Krisensituation länger Zeit nehmen, um auf eine Anfrage von einem anderen Staat zu antworten, um die Zuständigkeit für ein Asylgesuch zu klären.
- Nicht verbindliche Teile
Nicht verbindlich für die Schweiz ist hingegen der Solidaritätsmechanismus zur Entlastung der EU-Mitgliedstaaten, die im Asyl- und Migrationsbereich besonders unter Druck stehen. Die Schweiz kann sich jedoch an Solidaritätsmassnahmen freiwillig beteiligen.
Auch die Grenzverfahren der EU wird die Schweiz nicht anwenden.
Für die Übernahme und die Umsetzung dieser neuen EU-Bestimmungen hat die Schweiz gemäss den Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen zwei Jahre Zeit. Da dafür Gesetzesanpassungen im Schweizer Recht notwendig sind, wird die Übernahme und Umsetzung der vorliegenden EU-Verordnungen dem Parlament unterbreitet. Die Vorlage unterliegt dem fakultativen Referendum.
Frequently Asked Questions (FAQ)
Die europäische Migrations- und Asylreform rückt die europäische Zusammenarbeit und die gemeinsame Verantwortung für die Migration und Solidarität zwischen den europäischen Staaten ins Zentrum. Sie setzt auf effizientere Abläufe, rasche Verfahren an den Aussengrenzen, ein funktionierendes Dublin-System und einen Solidaritätsmechanismus innerhalb der EU.
Die Schweiz wird nur diejenigen Teile der Reform übernehmen und umsetzen, die eine Weiterentwicklung der Schengen- und Dublin-Zusammenarbeit darstellen. Dies betrifft ein neues Überprüfungsverfahren (Screening) bei irregulär in den Schengen-Raum eingereisten Personen, die neuen Dublin-Bestimmungen sowie die Weiterentwicklung der Eurodac-Datenbank.
Gewisse Bestimmungen dieser Schengen/Dublin-Weiterentwicklungen erfordern Gesetzesanpassungen auf nationaler Ebene. Daher wird die Vorlage dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet.
Immer wenn in den letzten Jahren der Migrationsdruck stieg, zeigten sich die strukturellen Mängel des heutigen europäischen Asylwesens: Aufgrund ihrer geografischen Lage stiessen gewisse EU-Staaten insbesondere an den Aussengrenzen wiederholt an ihre Belastungsgrenzen. Gleichzeitig gab es keinen Mechanismus, der diese ungleiche Belastung ausgeglichen hätte: Staaten unter hohem Migrationsdruck fühlten sich von den anderen Staaten alleingelassen. Dies hatte zur Folge, dass das Dublin-System unter Druck geriet und einzelne Staaten ihre Verpflichtungen nicht wahrnahmen. Asylsuchende und Migrantinnen reisten vermehrt in andere Dublin-Staaten weiter und konnten nicht mehr in die Staaten rücküberstellt werden, die eigentlich für die Behandlung der Asylgesuche zuständig gewesen wären. Auch wenn die Schweiz klar von Dublin profitiert, war auch sie von diesem Phänomen betroffen.
Mit dem EU-Pakt werden neue Regelungen und Massnahmen eingeführt, um das Asyl- und Migrationssystem krisenresistenter und effizienter zu machen. Die irreguläre Migration nach Europa und die Sekundärmigration sollen reduziert werden. Ausserdem soll die Verantwortung gerechter auf die EU-Staaten verteilt werden. Etwa durch schnellere Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen für Personen, die nur wenig Aussicht auf Schutz in der EU haben, oder durch andere Massnahmen, wie die überarbeiteten Dublin-Kriterien. Zudem soll durch einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus der Überlastung einzelner EU-Mitgliedsstaaten vorgebeugt werden. Ausserdem werden klarere Regeln für den Krisenfall eingeführt.
Durch das Ineinandergreifen dieser Neuerungen soll die Migration nach Europa von Personen, welche die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen und keinen Schutz benötigen, in Zukunft verringert werden und rasch Schutz gewährt werden, wenn dieser gebraucht wird. Werden diese Ziele erreicht, profitiert davon auch die Schweiz.
Die gesamte Überprüfungsverordnung stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar und ist somit für die Schweiz verbindlich. Sie führt ein schnelles und verbindliches Überprüfungsverfahren (Screening) an den Schengen-Aussengrenzen ein für Personen, welche die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen. Zusätzlich findet die Überprüfungsverordnung Anwendung auf Drittstaatsangehörige, die im Zusammenhang mit einer irregulären Einreise innerhalb des Hoheitsgebiets eines Schengen-Staats aufgegriffen werden.
Das Überprüfungsverfahren umfasst:
- das Ausfüllen eines Überprüfungsformulars;
- eine vorläufige Gesundheitskontrolle;
- eine vorläufige Prüfung der Vulnerabilität;
- die Identifizierung und Verifizierung der Identität;
- die Erfassung der biometrischen Daten in Eurodac;
- eine Sicherheitskontrolle;
- in der EU die Zuweisung an das geeignete Verfahren (Grenzverfahren, Einreise in den Schengen-Raum für Asylverfahren, Wegweisung).
Die einheitliche und systematische Erhebung der oben aufgeführten Daten erleichtern ein rasches Einleiten der zutreffenden Verfahren und Massnahmen (bspw. im Fall eines Sicherheitsrisikos oder bei spezifischen gesundheitlichen Problemen). Die Staaten müssen mit einem unabhängigen Überwachungsmechanismus sicherstellen, dass die Menschenrechte der Migranten und Migrantinnen durchgehend eingehalten werden.
Die derzeitige Eurodac-Verordnung wird aufgehoben und durch eine neue ersetzt. Die Eurodac-Datenbank enthält derzeit die Fingerabdrücke aller in den Schengen-Staaten irregulär eingereisten Migrantinnen und Migranten sowie von Asylsuchenden. Das angepasste Informationssystem Eurodac soll künftig mithelfen, irreguläre Aufenthalte in der EU verstärkt zu kontrollieren, indem die Daten jener Personen inkl. ihrer Biometrie nicht nur abgeglichen, sondern auch gespeichert werden. Im Wesentlichen sind folgende Neuerungen vorgesehen:
- Ausweitung des zu erfassenden Personenkreises: Neu werden Personen ab dem Alter von sechs Jahren erfasst, mit Sonderregeln für Minderjährige (vorher ab 14 Jahren). Ausserdem werden neue Personenkategorien registriert, etwa Personen mit irregulärem Aufenthalt.
- Ausweitung der erfassten Daten: Neu werden nicht nur Fingerabdrücke, sondern auch Gesichtsbilder, das Alter und der Name erfasst.
- Zugriff für Strafverfolgungsbehörden: Strafverfolgungsbehörden können Abfragen mit alphanumerischen oder biometrischen Daten stellen. Bei einem positiven Resultat einer Abfrage des Schengener Informatiksystems CIR (Common Identity Repository), haben die Strafverfolgungsbehörden direkteren Zugriff auf Eurodac.
- Interoperabilität von Eurodac mit anderen europäischen Systemen: Entry-Exit-System/EES, Visa Information System/VIS, European Travel Information and Authorisation System/ETIAS und Schengen Information System/SIS und Lieferung gewisser Daten an den CIR (Common Identity Repository).
Die Verordnung über das Asyl- und Migrationsmanagement (AMMR-Verordnung) wird die aktuelle Dublin-Verordnung ersetzen. Die Teile, die die Zuständigkeiten zwischen den Dublin-Staaten regeln, sollen von der Schweiz gemäss Dublin-Assoziierungsabkommen übernommen werden. Die AMMR-Verordnung enthält zusammenfassend folgende hauptsächlichen Neuerungen:
- Raschere Verfahren für die Ermittlung des zuständigen Dublin-Staats: Die AMMR-Verordnung sieht kürzere Fristen für die verschiedenen Verfahrensschritte vor. Dies betrifft Ersuchen zur Festlegung der Zuständigkeit und den Wegweisungsentscheid. Ausserdem soll das Beschwerdeverfahren durch die Festlegung von Fristen beschleunigt und vereinheitlicht werden. Die Behandlungsfristen für das Dublin-Verfahren werden ausserdem verkürzt, wenn sich eine Person in Dublin-Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befindet.
- Effizientere Zusammenarbeit zwischen den Behörden: Wenn die Zuständigkeit eines Dublin-Staats für ein Asylgesuch bereits geklärt ist, muss kein Ersuchen mehr gestellt werden, es reicht eine Mitteilung an den betroffenen Staat. Der unterrichtete Dublin-Staat erhält die Möglichkeit, rasch Einwände gegen die Mitteilung zu erheben. Ausserdem wird der Informationsaustausch zwischen den Dublin-Staaten vor der Überstellung auf Daten ausgeweitet, welche im Rahmen des Überprüfungsverfahrens erhoben wurden.
- Klarere Rechte und Pflichten für die Gesuchstellenden: Die AMMR-Verordnung verpflichtet die Asylsuchenden, ihr Asylgesuch im Ersteinreisestaat resp. in dem Dublin-Staat zu stellen, der ihnen einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat. Mit dieser Änderung wird klargestellt, dass Asylsuchende nicht aussuchen können, in welchem Dublin-Staat sie ihr Asylgesuch stellen oder welcher Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist. Die AMMR-Verordnung enthält Verpflichtungen der Asylsuchenden zur rechtzeitigen Bereitstellung aller relevanten Informationen sowie zur Kooperation mit den zuständigen Behörden. Neu soll im Rahmen des Dublin-Verfahrens ausserdem die Erstbefragung nicht nur schriftlich zusammengefasst, sondern in der Regel auf Ton aufgenommen werden.
- Verhinderung von Weiterwanderung: Die Nichterfüllung der rechtlichen Verpflichtungen hat für die Asylsuchenden u.a. Konsequenzen im Bereich der Aufnahme und Unterbringung. Die Frist für die Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat wird verlängert, wenn Asylsuchende während des Dublin-Verfahrens untertauchen oder sich auf eine andere Weise der Überstellung entziehen. In diesen Fällen kann der überstellende Dublin-Staat neu bis höchstens drei Jahre die Überstellung durchführen, falls die Person wieder auftaucht. Bis anhin betrug diese Frist 18 Monate. Neu bleibt ein Dublin-Staat ausserdem während 20 Monaten nach einer irregulären Einreise in den Schengen-Raum für das Asylverfahren zuständig. Früher endete diese Zuständigkeit grundsätzlich nach 12 Monaten. Auch wird ein Anreiz für konsequente Überstellungen geschaffen: Alle Dublin-Staaten, welche am Asyl- und Migrationsfonds (AMIF) beteiligt sind, erhalten für jede überstellte Person einen Beitrag von 10 000 EUR. Die Schweiz ist am AMIF nicht beteiligt und wird daher auch keine Beiträge aus diesem Fonds erhalten.
- Stärkere Berücksichtigung des individuellen Bezugs der Gesuchsteller zu einem Dublin-Staat: Neu ist derjenige Dublin-Staat zuständig für die Prüfung eines Asylantrags, aus welchem die betroffene Person ein Zeugnis bzw. einen Befähigungsnachweis einer Bildungseinrichtung besitzt.
- Verstärkte Würdigung von Familienkonstellationen und des Kindswohls: Neu werden unter den Begriff "Familienangehörige" auch verwandtschaftliche Beziehungen miteinbezogen, die nach Verlassen des Herkunftslandes, aber vor der Ankunft im Hoheitsgebiet des Dublin-Staats entstanden sind. Ausserdem bedingt ein Langzeitaufenthaltstitel oder eine erlangte Staatsbürgerschaft eines Familienmitglieds neu ebenfalls die Zuständigkeit des entsprechenden Staats. Die Bestimmung über Garantien für unbegleitete Minderjährige wird durch die AMMR-Verordnung dahingehend angepasst, dass die Würdigung des Kindeswohls praxisgerechter erfolgt. In Bezug auf unbegleitete Minderjährige wird neu festgehalten, dass der Dublin-Staat, in dem eine unbegleitete minderjährige Person ihr Asylgesuch erstmals einreicht, zuständig sein wird, es sei denn, dass dies nachweislich ihrem Wohl zuwiderläuft. Die für die Bestimmung der Zuständigkeit geltenden Vorschriften über die Beweismittel werden flexibler gestaltet, um die Familienzusammenführung zu erleichtern.
- Umgang mit Personen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen: Es muss gewährleistet sein, dass eine betroffene Person keine Gefahr für die innere Sicherheit eines Dublin-Staats darstellt, bevor eine Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat erfolgt. Zudem wird neu die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung als neuer eigenständiger Haftgrund eingefügt.
Die Teilnahme am Solidaritätsmechanismus ist für die Schweiz rechtlich nicht bindend, sie kann sich jedoch freiwillig daran beteiligen. Der Bundesrat wird, wenn die Reform ab 2026 umgesetzt wird, jeweils entscheiden, ob und in welcher Form sich die Schweiz am Solidaritätsmechanismus beziehungsweise an Solidaritätsmassnahmen beteiligen wird.
Dieses neue Verfahren an der Aussengrenze der EU wird von der Schweiz nicht angewendet, da es nicht Schengen/Dublin-relevant ist.
Das neue System soll allgemein mehr Klarheit über die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden schaffen, die Verfahren beschleunigen und damit das Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes sowohl für die Betroffenen als auch für die europäischen Staaten berechenbarer machen. Dadurch soll die Rechtssicherheit erhöht werden. In allen Verfahren ist eine kostenlose Rechtsberatung vorgesehen.
Die Mindeststandards für Asylverfahren sind neu in jedem EU-Mitgliedsstaat direkt anwendbares Recht. Hier haben die EU-Mitgliedsstaaten weniger Handlungsspielraum als früher. Mit der überarbeiteten Aufnahmerichtlinie werden zudem in den EU-Mitgliedsstaaten der Zugang zur Bildung, zum Arbeitsmarkt, zur Gesundheitsversorgung sowie die Rechte von UMA und anderen vulnerablen Schutzsuchenden gestärkt. Das gesamte geplante Verfahren beinhaltet in allen Phasen die grundlegenden Schutzmassnahmen nach europäischen Standards wie das Kindeswohl und die Berücksichtigung besonderer Schutzbedürftigkeit.
Schliesslich tragen die überarbeiteten Dublin-Bestimmungen, welche auch von der Schweiz angewandt werden, dem individuellen Bezug einer asylsuchenden Person zu einem bestimmten Dublin-Staat verstärkt Rechnung, wenn es um die Bestimmung des zuständigen Staates geht. Dies beispielsweise bei Familienkonstellationen oder wenn in einem Dublin-Staat ein Diplom erreicht wurde.
Mit dem EU-Pakt wird eine kostenlose Rechtsberatung während aller Verfahren eingeführt, ausser der Gesuchsteller verfügt über ausreichende Eigenmittel. Bei einem allfälligen Beschwerdeverfahren können unentgeltlich Rechtsberatung und -vertretung angefordert werden.
Ausserdem sind die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, ein unabhängiges Monitoring vorzusehen, welches die Einhaltung der Menschenrechte während der Überprüfungs- und Grenzverfahren kontrolliert.
Die EU-Mitgliedstaaten haben zwei Jahre Zeit für die Umsetzung, d.h. bis Mitte 2026. In dieser Phase müssen sowohl nationale Gesetze angepasst als auch die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt werden. Die für die Schweiz verbindlichen Rechtstexte wurden ihr am 17. Mai 2024 notifiziert. Gemäss dem Assoziierungsabkommen hat die Schweiz zwei Jahre Zeit, um die für sie relevanten Bestimmungen ins nationale Recht zu übernehmen und umzusetzen. Die notwendigen Gesetzesänderungen werden dem Parlament unterbreitet. Nach Genehmigung durch das Parlament und nach Ablauf der Referendumsfrist, beziehungsweise wenn das Stimmvolk die Annahme bestätigt, erfolgt die definitive Mitteilung an die EU, dass die Schweiz die Weiterentwicklungen übernimmt. Somit sollten die Reformbestimmungen EU-weit und in der Schweiz per Mitte 2026 umgesetzt werden können.
Letzte Änderung 14.08.2024