"Unsere Werte basieren auf gemeinsamer Herkunft"

Interview, 20 mai 2022: Tachles; Gisela Blau

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Tachles: "Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Interview über Ukraine-Flüchtlinge, Sicherheit für Schweizer Juden und Nazisymbole."

Frau Bundesrätin Keller-Sutter, Sie haben sich von Anfang des Krieges gegen die Ukraine an für die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen ausgesprochen. Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Verlauf?
Es ist dem Bund zusammen mit Kantonen, Gemeinden, den Hilfswerken und nicht zuletzt auch dank des Engagements unzähliger Privatpersonen gelungen, all jenen Menschen Schutz zu gewähren, die den Schutz der Schweiz benötigen. Und dies trotz der Tatsache, dass wir mit der grössten Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert sind. In gut zwei Monaten kamen rund 50 000 Person aus der Ukraine in die Schweiz. Bislang haben wir diese Verbundaufgabe gut bewältigt.

Andere Flüchtlingsgruppen, etwa diejenigen aus Syrien, hätten auch gerne den S-Status. Was spricht dagegen, diesen Schutz allen in die Schweiz Geflüchteten zu gewähren?
Ein Grossteil der weltweit Vertriebenen findet jeweils in Nachbarländern Zuflucht – so auch sehr viele Personen aus Syrien und Afghanistan. Oftmals sind diese Geflüchteten auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz von Personen aus diesen Ländern ist bisher in einer Grössenordnung geblieben, die das SEM im Rahmen der bestehenden Asylprozesse bewältigen kann. Die Situation mit dem Krieg in der Ukraine ist anders. Die Schweiz ist mit einem Zustrom von Flüchtenden in einem nie erlebten Ausmass konfrontiert. Der Schutzstatus S für ukrainische Geflüchtete soll dazu dienen, die Überlastung des Asylsystems zu verhindern. Die Schaffung des Status S war mitunter eine Lehre aus dem Krieg in den 1990er-Jahren in Ex-Jugoslawien. So funktioniert unser Asylsystem weiter und die Geflüchteten aus der Ukraine erhalten rasch, unbürokratisch und basierend auf einer soliden rechtlichen Grundlage jenen Schutz, den sie benötigen. Nicht zu vergessen: Der Schutzstatus S ist rückkehrorientiert, der Grossteil der Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen und Kinder, die möglichst rasch zu ihren Liebsten in die Heimat zurückwollen. Im Unterschied dazu wird im Asylverfahren individuell geprüft, ob sich jemand dauerhaft in der Schweiz aufhalten oder niederlassen kann.

Die Unterbringung in Gastfamilien, auch in jüdischen, wird auf die Dauer Schwierigkeiten bieten. Wie lässt sich dieses Problem lösen, vor allem die weitere Unterbringung der Geflüchteten?
Bund, Kantone und die Hilfswerke arbeiten permanent an der Unterbringung der Geflüchteten. Wir wissen nicht, wie lange die privaten Unterkünfte in ausreichender Zahl noch zur Verfügung stehen werden. Denn es geht ja nicht nur um freie Betten, sondern auch darum, dass die Bedürfnisse der ukrainischen Geflüchteten und die Möglichkeiten der Gastgeber soweit als möglich zusammenpassen. Die Kantone bereiten sich deshalb darauf vor, dass nicht alle Gastfamilien bereit sind, länger als drei Monate Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Hierfür sind wir unablässig daran, gemeinsam mit Kantonen und Gemeinden rechtzeitig die benötigten Unterbringungskapazitäten bereitzustellen.

Der Bund hat kürzlich die bisherige, viel zu niedrige Unterstützungssumme zugunsten von beschränkten Sicherheitsmassnahmen u. a. der jüdischen Gemeinden stark erhöht. Bedeutet dies, dass die Landesregierung und Ihr Departement die bisher selbst getragene Finanzierung der Sicherheitsbedürfnisse jüdischer Gemeinden nunmehr ernst nehmen und nach mehreren politischen Vorstössen mittragen wollen?
Ich muss Ihnen widersprechen. Der Bundesrat und mein Departement haben den Schutz der jüdischen Gemeinschaft immer sehr ernst genommen. In diesem Sinne wurde auch die Verordnung über Massnahmen zur Unterstützung der Sicherheit von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen im 2019 verabschiedet. Diese Aufgabe liegt aufgrund der Kompetenzordnung in der Schweiz bei den Kantonen, welche die Polizeihoheit innehaben. Das heisst aber natürlich nicht, dass der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeiten keinen Beitrag leisten kann. Im Gegenteil. Eine Evaluation hat gezeigt, dass sich diese Finanzhilfen grundsätzlich bewährt haben. Sie hat aber auch gezeigt, dass die verfügbaren Mittel insgesamt nicht ausreichen. Dazu hat sich die Bedrohungslage, insbesondere für die jüdischen Gemeinschaften, verschärft.
Deshalb hat der Bundesrat entschieden, die Unterstützungsbeiträge für den Schutz von Minderheiten zu erhöhen. Neu können ab 2023 auch ganzheitliche Sicherheitskonzepte zusätzlich mit 1,5 Millionen Franken pro Jahr unterstützt werden. Es liegt nun auch an den betroffenen Kantonen, ihren Beitrag zu langfristigen Finanzierungslösungen zu leisten. Einige Kantone haben hier schon Lösungen gefunden.

Der Gesamtbundesrat hat sich kürzlich gegen ein Verbot von Nazi-Symbolen ausgesprochen, was nicht nur in der jüdischen Gemeinschaft auf grösstes Unverständnis stösst. Was sagen Sie dazu?
Wer öffentlich die nationalsozialistische Ideologie verbreitet, macht sich bereits heute strafbar. Das kann bereits das Anbringen von nationalsozialistischen Bildern und Symbolen an der Aussenseite der Wohnungstür sein. Die Motion, die Sie ansprechen, hat nun hingegen ein "ausnahmsloses" Verbot von Nazi-Symbolen im öffentlichen Raum gefordert, und das ist aus Sicht des Bundesrats überschiessend. Insbesondere muss die Verwendung solcher Symbole in Wissenschaft, Kunst, Bildung und Journalismus möglich bleiben. Ich habe das Bundesamt für Justiz aber beauftragt, den Handlungsbedarf und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu prüfen, auch mit Blick auf die Rechtslage in den Nachbarländern. Diese Arbeiten sind bereits im Gang.

Ihr persönliches Verständnis für die Anliegen und Probleme der jüdischen Minderheit in der Schweiz?
Sicherheit und das Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft sind mir ein persönliches Anliegen. Leider sind die Bedrohungen gegenüber den Jüdinnen und Juden in der Schweiz immer noch aktuell. Antisemitismus ist Teil verschiedener extremistischer Gewaltideologien und zeigt sich in verschiedenen Facetten. Der Antisemitismus ist leider eine Konstante der Geschichte der Menschheit und hat nie aufgehört. Es gehört zu den Grundaufgaben des Staates, seine Einwohnerinnen und Einwohner zu schützen.
Dazu kommt auch mein persönliches Interesse und die Sympathie für die jüdische Gemeinschaft. Dabei lerne ich immer wieder dazu. Aktuell bei der Lektüre des Buchs "Das Judentum" von Hans Küng. Unsere Kultur und unsere Werte – auch in der Schweiz – basieren auf unserer gemeinsamen christlich-jüdischen Herkunft und sind geprägt von der Aufklärung.

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Dernière modification 20.05.2022

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