Interview, 23. April 2024: Basler Zeitung; Marcel Rohr, Barbara Stäbler
Der neue Basler Bundesrat wohnt im Matthäusquartier, einem Drogenhotspot. Das beeinflusst seine Arbeit als Schweizer Justiz- und Polizeiminister.
Bahnhof Basel SBB, Gleis 11. Um 13.28 Uhr fährt der Schnellzug nach Bern. Beat Jans (59) dankt dem Basler Sicherheitspersonal für seine Arbeit während des Ministertreffens in Basel. Dann steigt der Basler SP-Bundesrat in das Erstklassabteil ein, das Interview kann beginnen.
Beat Jans, wir sitzen im Zug von Basel nach Bern. Wie oft nehmen Sie die Bahn?
Häufig, mehr als die Limousine. Der Zug ist zuverlässiger, auf der Autobahn weiss man nie, wann man ankommt.
Ist Ihr Sicherheitspersonal immer dabei?
Nein, nur wenn ich das will. Ich fahre oft alleine. Es gibt Leute, die mich ansprechen, klar, meistens freundlich und respektvoll. Ich kann im Zug gut arbeiten.
Wie viel Personenschutz brauchen Sie sonst im Alltag?
Auch das liegt an mir, zu entscheiden. An offiziellen Veranstaltungen, wo ich angekündigt werde, sind automatisch Mitarbeiter des Bundesamts für Polizei (Fedpol) dabei. Diesen Service geniessen auch Spitzenparlamentarier wie Eric Nussbaumer oder Eva Herzog. Privat kann ich selbst entscheiden, ob das Fedpol dabei ist. Dann schaue ich aber, dass ich nicht angekündigt bin, sodass sich niemand auf mich vorbereiten kann.
Sie haben im Vorfeld Ihrer Wahl zum Bundesrat betont, dass der Aspekt Sicherheit wichtig sei, vor allem für Ihre Frau und Ihre beiden Kinder.
Das stimmt, dabei habe ich das Beispiel Alain Berset erwähnt, der während der Pandemie Personenschutz brauchte. Bei uns läuft bislang alles bestens. Als ich im Dezember gewählt wurde, gab es im Schulhaus meiner Töchter ein Public Viewing. Sie wurden also bald erkannt… (schmunzelt) Seither werden die beiden aber nicht gross belästigt. Ihre Freunde oder Freundinnen staunen eher, dass sie bei uns zu Hause immer noch willkommen sind, aber ich habe gerne jungen Menschen bei mir.
Verbringen Sie unter der Woche alle Nächte in Bern?
Ja, ich habe eine Zweitwohnung. Tracy und die Kinder besuchen mich immer wieder, meine Frau begleitet mich auch ab und zu an Anlässe.
Kommt bei Ihnen der Schlaf zu kurz? Christoph Blocher erzählte einst, er stehe bereits um vier Uhr morgens auf…
Das kann ich nicht bieten, und ich bezweifle, ob das gesund ist. Ich stehe um halb sechs Uhr auf. Daher kommt es vor, dass ich abends auch mal um 22 Uhr im Bett bin.
Sie haben seit Dezember 2023 ein neues Leben. Wie prickelnd fühlt es sich an?
Ich habe mich sofort in die Dossiers reingekniet und ein neues Team zusammengestellt. Ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, was in meinem Leben passiert ist. Aber die ersten hundert Tage haben gepasst, ich habe das Gefühl, ich kann der Bevölkerung etwas Gutes tun. Das treibt mich an.
Ist Ihre Familie auch nach knapp vier Monaten noch von Ihrem Job begeistert?
An den Wochenenden habe ich als Bundesrat weniger Verpflichtungen als früher im Basler Regierungsrat. Ich bin eher mehr zu Hause. Die Töchter haben mit 16 und 18 Jahren ein gutes Alter, sie sind schon sehr selbstständig, das passt.
Der Schweizer Justiz- und Polizeiminister wohnt mit seiner Familie in Kleinbasel, mitten in einem Drogenhotspot samt hoher Kriminalität. Das ist bemerkenswert.
Auch wenn ich in einem der schweizweit problematischsten Quartiere wohne, muss man dort keine Angst haben. Das gilt auch für meine Kinder. Trotzdem – mein Wohnort hat einen Einfluss auf meine Politik. Ich sehe die Probleme im Alltag, ich sehe sie als Bewohner des Matthäusquartiers. Ich weiss, was hier abgeht, als Regierungsratspräsident hatte ich früher schon die entsprechenden Zahlen dazu. Ich glaube, dieser Hintergrund hat auch dazu geführt, dass ich zum Beispiel das 24-Stunden-Verfahren für Asylsuchende relativ rasch einführen wollte. Und noch ein Wort zu meinen Töchtern.
Gerne.
Die beiden kennen die Drogendealer im Quartier, sie sehen sie, sie wissen auch, wie sie mit ihnen umgehen müssen, was sie übrigens in der Schule gelernt haben. Deshalb sind sie gut vorbereitet. Deshalb habe ich keine Angst.Wir sprechen zu Hause die Probleme klar an.
Wenn Sie im Nobelquartier Bruderholz wohnen würden – würden Sie Ihre Aufgaben anders anpacken?
Das ist möglich, ja. Ich habe das während meiner Kampagne zum Bundesrat stets betont: Dank meines starken urbanen Zugangs mit dem internationalen Aspekt, mit der grossen Migration in Kleinbasel samt den Problemen bringe ich etwas in den Bundesrat, was neu ist. Das war ein wichtiges Argument für mich, weil viele meinten, es brauche im Gremium jemanden mit urbaner Nähe und entsprechendem Blick. Wer beim Argumentieren persönliche Erfahrungen einbringt, ist authentisch – und damit am glaubwürdigsten.
Ihr Start als Bundesrat gilt als gelungen, Sie haben mit Inhalten überzeugt. Von rechts werden Sie nun gelobt, von links kritisiert – erstaunt Sie das?
Ja, ich muss sagen, das hat mich schon erstaunt. Aber ich habe meine Entscheidungen nicht darauf abgestützt, wer nun applaudieren könnte und wer nicht. Ich wollte zeigen, dass ich Probleme anpacke. Am Schluss brauche ich mehrheitsfähige Lösungen im Parlament, das zählt. Die Leute sollen sehen, dass ich bereit bin, mit ihnen Lösungen zu suchen.
Es ist doch verblüffend, dass das eigene Lager so kritisch reagiert hat.
Die Kritik hält sich in Grenzen, ich habe auch von Sozialdemokraten viele positive Zuschriften erhalten. Auch die 24-Stunden-Verfahren werden nicht grundsätzlich abgelehnt. Aber natürlich gibt es auch jene, die darauf pochen, dass die Grundrechte eingehalten werden. Was im Übrigen für mich ebenfalls ausser Diskussion steht.
Sie stehen sehr in der Öffentlichkeit. Ist das eine grosse Belastung? Und sind Sie sich der Verantwortung bewusst, die Sie tragen?
Besonders belastet hat es mich während der Bundesratskandidatur. Das war eine Tortur, ein Assessment, das sich gewaschen hat. Jetzt im Amt ist die Belastung nicht grösser, als ich erwartet habe.
Überlegen Sie sich im Vorfeld einer Ankündigung, ob diese Kritik auslösen könnte?
Politik darf Fehler machen. Auch ein Bundesrat darf etwas machen, das nicht funktioniert. Dies finde ich viel weniger schlimm, als wenn man in eine Art von Schockstarre verfällt vor lauter Angst, man könnte jemandem «an den Karren» fahren.
Sie haben die 24-Stunden-Verfahren aus Zürich angesprochen. Wurden diese auch schon in Basel eingeführt?
Die Verfahren werden schweizweit eingeführt, auch in Basel, mit einem der grössten Bundesasylzentren. In Zürich hat man sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich bin gespannt, wie sich die Zahlen landesweit entwickeln werden.
Als Sie noch Basler Regierungspräsident waren, haben Sie Ihrer Vorgängerin Elisabeth Baume-Schneider einen Brief geschrieben, in dem Sie auf die Problematik der vielen jungen Männer aus dem Maghreb aufmerksam gemacht haben. Die jungen Männer haben keine Chance auf Asyl und begehen viele Delikte – vor allem im Kleinbasel.
Aufgrund dieser Situation gab es auch eine grosse Unzufriedenheit bei der Basler Polizei. Die gleiche Unzufriedenheit spürte ich als Bundesrat in Chiasso und zuletzt auch in Boudry. Mir war klar, dass wir handeln müssen.
Wie erleben Sie das Bundesratskollegium – wie ist der Umgang?
Sehr respektvoll. Wir versuchen möglichst schon vor den Sitzungen, Differenzen auszuräumen. Wir sind bestrebt, die wichtigsten Fragen im persönlichen Kontakt zu beantworten.
Auffällig ist, wie man als Bundesrat die Parteizugehörigkeit hintanstellen muss. Gut zu sehen momentan bei SVP-Magistrat Albert Rösti und der Energiewirtschaft.
Ja, aber zu diesem Rollenwechsel muss man als Bundesrat bereit sein.Wir sind eine Kollegialbehörde und nur überzeugend, wenn wir unsere Beschlüsse gemeinsam vertreten. Aber natürlich merkt man auch den Bundesrätinnen und -räten an, woher sie politisch kommen. Ich möchte auf jeden Fall dazu beitragen, dass wir stärker als Team wahrgenommen werden. Die vielen Leaks und Indiskretionen wie damals während der Pandemie machen es nicht einfacher.
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Letzte Änderung 23.04.2024