Die "Selbstbestimmungsinitiative" schwächt die Schweiz, ihre Unternehmen und die Menschenrechte

Bern, 05.07.2017 - Der Bundesrat beantragt dem Parlament, die Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)" zur Ablehnung zu empfehlen. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, neu verhandelt und nötigenfalls kündigt. Zudem hält sie die Behörden an, sich über bestehende vertragliche Verpflichtungen hinwegzusetzen. Die Initiative gefährdet damit die Stabilität und Verlässlichkeit der Schweiz und untergräbt die für den Unternehmensstandort wichtige Rechts- und Planungssicherheit. Hinzu kommt, dass die Initiative in zentralen Punkten unklar formuliert ist.

Die Selbstbestimmungsinitiative ist am 12. August 2016 eingereicht worden und mit 116 428 gültigen Unterschriften zustande gekommen. Die Initiantinnen und Initianten wollen den Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht verankern und die Behörden verpflichten, der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge anzupassen und "nötigenfalls" zu kündigen. Ferner wären künftig für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden nur noch diejenigen völkerrechtlichen Verträge massgebend, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat.

Die Selbstbestimmungsinitiative verspricht eine Klärung des Verhältnisses zwischen Schweizer Recht und völkerrechtlichen Verträgen. Sie kann diesen Anspruch jedoch nicht einlösen. Sie weist vielmehr zahlreiche Unklarheiten und Unstimmigkeiten auf. Dies hätte bei einer Annahme zur Folge, dass wichtige Fragen zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht von den Gerichten zu entscheiden wären.

Handlungsspielraum wird eingeschränkt

Klar ist, dass die Initiative die internationalen Verpflichtungen der Schweiz fortwährend infrage stellt. Sobald ein Widerspruch zwischen einer Verfassungsbestimmung und einem völkerrechtlichen Vertrag vorliegt, soll nämlich die Schweiz den Vertrag neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Mit dieser Anpassungs- und Kündigungspflicht schwächt die Initiative die Verlässlichkeit und Stabilität der Schweiz. Zudem setzt sie die Rechts- und Planungssicherheit für den Unternehmensstandort aufs Spiel.

Weiter schränkt die Selbstbestimmungsinitiative den Handlungsspielraum von Bundesrat und Parlament bei der Umsetzung von Verfassungsbestimmungen ein, die mit dem Völkerrecht kollidieren. Anders als bisher könnten Bundesrat und Parlament nicht mehr pragmatisch nach breit abgestützten Lösungen suchen, die sowohl den Vorgaben der Verfassung als auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz Rechnung tragen. Stattdessen engt die Selbstbestimmungsinitiative den Handlungsspielraum der Bundesbehörden auf die Optionen Neuverhandlung und Kündigung ein.

Es droht das Recht des Stärkeren

Mit der Vorgabe, dass nur jene völkerrechtlichen Verträge massgebend sein sollen, die dem Referendum unterstanden haben, hält die Selbstbestimmungsinitiative Gerichte und Behörden zum Vertragsbruch an. Das widerspricht unserer Rechtskultur und schwächt die Position der Schweiz: Zum einen setzt sie sich so der Gefahr aus, für die Nichterfüllung eines Vertrags zur Verantwortung gezogen zu werden. Es drohen Gegenmassnahmen der Vertragspartner. Zum andern wird es für die Schweiz künftig schwierig sein, von ihren Partnern eine Vertragserfüllung einzufordern, wenn sie selbst sich in ihrer Verfassung vorbehält, von bestimmten Verträgen abzuweichen. Wo es aber an verbindlichen Regeln fehlt, droht das Recht des Stärkeren. Als Kleinstaat sollte die Schweiz deshalb ein besonderes Interesse an der Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen haben.

Eine Annahme der Initiative könnte im Übrigen dazu führen, dass die Schweiz Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) andauernd und systematisch nicht mehr anwenden kann. Auf lange Sicht könnte die Schweiz deshalb aus dem Europarat ausgeschlossen werden, was einer Kündigung der EMRK gleichkommt und beide schwächen würde. Europarat und EMRK sind aber wichtige Instrumente zur Förderung und Stabilisierung von Rechtsstaat, Demokratie, Sicherheit und Frieden in ganz Europa. Daran hat die Schweiz ein existenzielles Interesse.

Abschluss von Verträgen ist Akt von Souveränität

Auf einer grundsätzlichen Ebene verkennt die Selbstbestimmungsinitiative schliesslich, dass auch der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags einen Akt nationaler Souveränität darstellt. Dank dem Staatsvertragsreferendum ist die direktdemokratische Beteiligung beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags sichergestellt.

Die Schweiz würde sich mit der Annahme der Selbstbestimmungsinitiative einer Regelung unterwerfen, die nicht mehr das Prinzip der Vertragstreue in den Vordergrund stellt, sondern umgekehrt den Vertragsbruch in Kauf nimmt. Der Bundesrat kann die Initiative deshalb weder im Ansatz noch in ihren Lösungsvorschlägen unterstützen. Er empfiehlt dem Parlament folglich auch, auf einen direkten Gegenentwurf oder einen indirekten Gegenvorschlag zu verzichten.


Adresse für Rückfragen

Bundesamt für Justiz, T +41 58 462 48 48, media@bj.admin.ch



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Der Bundesrat
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Letzte Änderung 30.01.2024

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